Sondersitzung des Kreistags zur Gesundheits- und Notfallversorgung im Westallgäu und zum Neubau des Beruflichen Schulzentrums
Lindau (Bodensee) – Zwei zentrale Themen bestimmen derzeit die Landkreispolitik: Die Gesundheits- und Notfallversorgung im Westallgäu und der Neubau des Beruflichen Schulzentrums in Lindau, dem größten Bildungsprojekt des Landkreises. Beide Themen wurden in einer Sondersitzung des Kreistags intensiv erörtert.
Experten im Gesundheitsbereich, Professor Dr. Oliver Rentzsch, Ärztlicher Leiter der Oberschwabenklinik, und Felix Rauschek, Regionalgeschäftsführer der Asklepios Kliniken, nahmen an der Sitzung teil. Eine Vertreterin der Rotkreuzklinik konnte aus Termingründen nicht teilnehmen.
Im Juli 2023 hatte die Rotkreuzklinik in Lindenberg bekannt gegeben, dass ein Schutzschirmverfahren über das Haus eröffnet wurde. Ein Jahr später wird die Klinik nun geschlossen, die Aufnahme von stationären Patienten ist bereits eingestellt. Landrat Elmar Stegmann und die Mitglieder des Kreistags bedauern diese Entwicklungen zutiefst: „Wir danken insbesondere den Mitarbeitern, die in dieser von großer Unsicherheit geprägten Phase in den letzten Monaten engagiert die Stellung gehalten haben. Mit Ihnen haben wir gehofft, dass es den Klinikverantwortlichen gelingt, ein tragfähiges Konzept zum Fortbestand des Hauses zu entwickeln. Leider haben sie dieses Ziel nicht erreicht“, so der Landrat.
Landrat Stegmann fasste in einem Statusbericht zu Beginn der Sitzung nochmals die allgemeinen Herausforderungen in der stationären Versorgung zusammen: Steigende Kosten, gedeckelte Einnahmen, eine zunehmende Ambulantisierung und sinkende Patientenzahlen, der Fachkräftemangel, komplexe Regularien, eine zunehmende Spezialisierung und hoher Konkurrenzdruck durch größere und besser ausgestattete Kliniken. Alles Gründe, warum sich die Krankenhauslandschaft insgesamt verändern wird.
In einem chronologischen Rückblick fasst der Landrat noch einmal die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres zusammen. Er bedauert nach wie vor sehr, dass weder die Klinikleitung noch der beauftragte Insolvenzverwalter den Landkreis informativ in den Prozess eingebunden haben - trotz gegenteiliger Zusicherungen: „Wir haben, wie andere auch, neue Entwicklungen weitestgehend aus der Presse entnommen.“
Landrat Stegmann stellte in der Kreistagssitzung selbst die Frage, ob eine Schließung absehbar war und zitierte dann aus Pressemitteilungen und Zeitungsberichten, in denen die Klinikleitung zuletzt noch im Juni beteuert hatte: „Unser Hauptziel ist es, trotz der veränderten gesundheitspolitischen Vorgaben auch zukünftig eine verlässliche Anlaufstelle für den Rettungsdienst und Patienten aus Lindenberg und Umgebung zu sein.“ Und weiter: „Wir sind für die Allgäuer Bevölkerung da,“ versichert die Geschäftsführerin.
Auch bei der letzten Sitzung des Krankenhausbeirats, knapp eine Woche vor Bekanntgabe der Liquidation, hatten Vertreter der Klinik noch das neue Klinikkonzept sowie ein Konzept für die Notfallversorgung vorgestellt mit vier Optionen, wie der Landkreis sich hier beteiligen kann. Der Kreistag hatte entschieden, im Haushalt bis zu einer Million Euro für die Unterstützung der Notfallversorgung an der Rotkreuzklinik zur Verfügung zu stellen. Da die Rotkreuzklinik im Gegensatz zur Oberschwabenklinik nicht kommunal getragen wird, ist eine Unterstützung des Landkreises nur unter strengen regulatorischen Vorgaben möglich. So hätte auch die Bereitstellung der Mittel für die Notfallversorgung nach bestimmten Kriterien erfolgen müssen. Insgesamt zeigt die Liquidation der Klinik nun, dass es trotz aller Anstrengungen den Verantwortlichen nicht gelungen ist, ein tragfähiges Konzept für den Fortbestand der Klink zu entwickeln.
„Wichtig ist, dass die Gesundheitsversorgung im Westallgäu weiterhin gut bleibt“, so der Landrat, der aber vor Aktionismus warnt. „Wir müssen uns alle betroffenen Bereiche anschauen und in einem komplexen Umfeld mit vielen Akteuren gute Lösungen erarbeiten.“
Um diese Themenfelder geht es:
Beschäftigte der Rotkreuzklinik
Dringend gesucht wird medizinisches und pflegerisches Fachpersonal, aber beispielsweise auch Fachkräfte in der Verwaltung oder Reinigungspersonal. Kurzfristig wurden bereits Termine mit potenziellen neuen Arbeitgebern vereinbart. Interessierte wurden in die Kliniken eingeladen, um bei einem Schnuppertag das Arbeitsumfeld kennen zu lernen. Weitere Unterstützung bieten das Jobcenter und die Agentur für Arbeit.
Nicht nur die umliegenden Kliniken, sondern auch andere potenzielle Arbeitgeber (z.B. ambulante Pflegedienste, Arztpraxen) bieten attraktive Möglichkeiten. „Die Chancen für eine nahtlose Weiterbeschäftigung stehen sehr gut“, sagt Landrat Elmar Stegmann. „Allerdings haben die bisherigen Termine gezeigt, dass die Mitarbeiter oft sehr ortsgebunden sind.“
Immobilien der Rotkreuzklinik
Die Schwesternschaft ist Eigentümerin der Liegenschaften. Aus diesem Grund hat der Landkreis keinen Einfluss darauf, was mit den Liegenschaften geschieht. Die Gebäude sind laut Aussage der Schwesternschaft von der Liquidation nicht betroffen. In Abstimmung mit dem Lindenberger Bürgermeister Eric Ballerstedt hat Landrat Elmar Stegmann die Kreis-Wohnbau-GmbH (GKWG) beauftragt, auf die Schwesternschaft zuzugehen und zu prüfen, ob die GKWG ggf. unterstützend tätig werden kann.
Das derzeit in den sozialen Medien kursierende Gerücht, dass im ehemaligen Klinikgebäude oder in den Personalwohnungen Asylbewerber untergebracht werden sollen, entspricht nicht der Wahrheit. Ein entsprechendes Angebot liegt dem Freistaat aktuell nicht vor. Auch seitens der Schwesternschaft ist dies nicht beabsichtigt, wie die neue Generaloberin Caroline Vogt dem Landrat in einem persönlichen Gespräch versicherte.
Stationäre Krankenhausversorgung bei planbaren Eingriffen
Bereits vor der Schließung haben die Patienten in Absprache mit ihrem Arzt die für sie geeignete Klinik ausgewählt. Das ist nicht unbedingt die nächstgelegene. Die regionalen Kliniken haben nach der Schließung angekündigt, ihre Kapazitäten auszubauen, so dass die Versorgung sichergestellt ist.
Stationäre Notfallversorgung
Unmittelbar nach der Schließung haben die benachbarten Kliniken angekündigt, Personal und Betten aufzustocken. Bereits seit Ende 2023 verzeichnen die Kliniken eine höhere Auslastung. Grund dafür ist die schon seit längerem eingeschränkte Notfallversorgung an der Rotkreuzklinik. Engpässe bei der Abverlegung von Patienten sind nicht immer auszuschließen. „Es sollte jetzt aber besser laufen als zum Jahreswechsel. Wir bleiben hier weiter in engem Kontakt mit den Kliniken“, sagt Landrat Elmar Stegmann, der seit Bekanntwerden des Insolvenzverfahrens den Kontakt zu den Nachbarkliniken intensiviert hat. „In Gesprächen konnten wir Unsicherheiten beseitigen und Strukturen anpassen“, erläutert er. „Ich danke den Kliniken sehr für die kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit.“
Ein Problem sind aktuell noch kleinere Notfälle für die eine Lösung vor Ort gesucht wird. Zum Beispiel eine Schnittwunde am Finger, die genäht werden muss.
Rettungsdienstliche Versorgung
Der Rettungsdienst ist auch nach der Schließung der Rotkreuzklinik gut aufgestellt. Landrat Stegmann hatte für die Sitzung vom Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung die aktuellen Zahlen für das erste Quartal angefordert. Die Hilfsfristen werden auch seit dem eingeschränkten Betrieb der Notaufnahme an der Rotkreuzklinik entsprechend den gesetzlichen Vorgaben eingehalten. Die Einhaltung wird vom Zweckverband weiterhin kontinuierlich überprüft. Sollten Hilfsfristen zukünftig nicht mehr eingehalten werden, wird der Zweckverband in Abstimmung mit den Kostenträgern kurzfristig einen weiteren Rettungswagen einsetzen. Der Landkreis selbst hat hier keine Entscheidungsbefugnis.
Das Gutachten zur rettungsdienstlichen Versorgung hat sich auch mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn die Rotkreuzklinik geschlossen wird. „Auch wenn wir uns das bei der Beauftragung anders erhofft haben, sind wir jetzt schon einen Schritt weiter. Für den Fall, dass die Hilfsfristen überschritten werden, liegen die notwendigen Gutachten bereits vor und ein weiterer Rettungswagen kann bei Bedarf relativ schnell stationiert werden“, so Landrat Elmar Stegmann.
Notärztliche Versorgung
Die Dienstpläne sind bis auf zwei Ausnahmen bis Ende 2024 besetzt (99,5 %). Im ersten Quartal lag die Besetzungsquote der Notärzte bei 100 Prozent. „Die notärztliche Versorgung ist aktuell gut. Wir stehen aber auch hier in engem Austausch mit dem Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung und der Kassenärztlichen Vereinigung“, so der Landrat.
Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) als ambulante Versorgungsstruktur mit einem erweiterten Angebot
In Lindenberg gibt es derzeit zwei Medizinische Versorgungszentren, das MVZ Allgäu-Bodensee in der Trägerschaft der Rotkreuzklinik, das sich wie die Rotkreuzklinik ebenfalls in der Liquidation befindet und das MVZ Lindau-Lindenberg in der Trägerschaft der Asklepios MVZ Bayern GmbH. Letzteres hat die Behandlungsschwerpunkte Orthopädie, Spotmedizin, ambulante Operationen, Chirotherapie und Gastroenterologie. Bundesweit betreibt Asklepios aktuell 100 Medizinische Versorgungszentren. Der Konzern prüft derzeit, ob die Möglichkeit besteht, ein bestehendes MVZ zu erweitern oder ein liquidiertes MVZ zu übernehmen. Um Kassenpatienten behandeln zu können, benötigt ein MVZ entsprechende Arztsitze, die aktuell noch im MVZ der Rotkreuzklinik gebunden sind. Asklepios hat bereits Kontakt mit dem Insolvenzverwalter aufgenommen, jedoch noch keine Rückmeldung erhalten. Auch die Oberschwabenklinik hat ihr Interesse bekundet. Ein MVZ in kommunaler Trägerschaft wurde auch in der Sitzung des Kreistags diskutiert. Hier sind jedoch die rechtlichen Hürden sehr hoch. Es sollten daher vorher immer alle anderen Möglichkeiten geprüft werden, zumal der Betrieb eines MVZ eine sehr komplexe Aufgabe ist.
Praxen in dem Gebäude der Rotkreuzklinik sowie Pflegeschule und Kurzzeitpflege
Nach Bekanntwerden der Schließung der Rotkreuzklinik wurden Gespräche mit den Praxen geführt, die derzeit in der Klinik angesiedelt sind oder Belegbetten hatten.
Bei der externen HNO-Praxis fallen durch die Schließung Belegbetten weg. Die Praxis kann nun an einem Tag in der Woche Operationen an der Asklepios Klinik in Lindau durchführen. Weitere Optionen werden geprüft.
Im Klinikgebäude verbleiben eine Dialysepraxis und eine urologische Praxis. Beide Praxen sind eigenständig. Die urologische Praxis führt derzeit Gespräche mit den regionalen Kliniken über mögliche Belegbetten. Für beide Praxen gilt, dass ein Praxisumzug einen entsprechenden Vorlauf bräuchte. Laut Aussage der Schwesternschaft sollen die Praxen aber weiterhin einen Mietvertrag erhalten. Auch die Ausbildung von Pflegefachkräften soll am Standort erhalten bleiben. Die Pflegeschüler können ihre Praxiseinsätze in den umliegenden Krankenhäusern absolvieren. Der Bau des Pflegeheims soll ebenfalls weitergeführt werden und damit auch ein Angebot an Pflege- und Kurzzeitpflegeplätzen geschaffen werden. Die Einrichtung ist nach Aussage der Schwesternschaft von der Liquidation nicht betroffen.
Länderübergreifender Krankenhausstandort
Die Beteiligten halten auch unter diesen veränderten Bedingungen weiterhin an dem Projekt fest. Erste Ergebnisse des Gutachtens werden nach den Sommerferien vorliegen. „Unser Ziel sollte es sein, nicht das bisherige Leistungsportfolio zu kopieren, sondern die Leistungen zukunftsorientiert zu optimieren um eine bessere Versorgung für die Region anzustreben“, erklärt Landrat Elmar Stegmann und denkt dabei an die Herzinfarkt- und Schlaganfallversorgung mit telemedizinischer Unterstützung. Auch für Ärzte ist ein größeres Haus attraktiver, da die Weiterbildung gesichert ist und ein breiteres Behandlungsspektrum, eine bessere Ausstattung und eine bessere Vernetzung der verschiedenen Fachbereiche möglich sind.
Neben den Sitzungen zu einem länderübergreifenden Krankenhausstandort fanden auf Initiative von Landrat Elmar Stegmann in den letzten Monaten laufend Gespräche mit den benachbarten Kliniken über die Gesundheitsversorgung im Westallgäu und mögliche Kooperationen statt (Rotkreuzklinik, Asklepios Klinik Lindau, Oberschwabenklinik in Ravensburg und in Wangen, Krankenhaus in Bregenz). Auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Vorarlberg hat er intensiviert und mehrere Gespräche mit der Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher geführt.
Am Ende seines Berichts dankte Landrat Elmar Stegmann auch den Mitgliedern des Krankenhausbeirats sowie den Referenten und Experten, die sich in den letzten Monaten in vier umfangreichen Sitzungen sehr engagiert eingebracht haben.
Das zweite große Thema der Sondersitzung war der Neubau des Beruflichen Schulzentrums. Mit Beschluss vom 13. Juni 2024 hat der Kreisausschuss die Verwaltung beauftragt, die weitere Projektentwicklung voranzutreiben, um den Förderantrag bei der Regierung von Schwaben einreichen zu können. Der Kreisausschuss wird in regelmäßigen Abständen über den weiteren Projektverlauf informiert. Der Haushaltsausschuss wurde beauftragt, sich mit der Finanzierung des Projekts und Einsparungen im Landkreishaushalt zu befassen. Auf Wunsch aus den Reihen der Kreisräte wurde das Thema trotz der Beschlussfassung im Kreisausschuss nochmals in der Sondersitzung vorgestellt. Die Fachplaner informierten erneut über das Projekt und die Kosten, die Kreiskämmerei über die Finanzierungspläne. Ausführliche Informationen zum Beruflichen Schulzentrum finden sich auf der Internetseite des Landkreises unter: www.landkreis-lindau.de/Berufliches-Schulzentrum.