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19.12.2023

Von Visionären und Alltäglichem

Lindau (Bodensee) – Wie die Bahn nach Weiler kam und 1893 zum letzten Mal eine Postkutsche in Weiler im Einsatz war. Nachzulesen sind solche spannenden Geschichten in den Mundarthoschtuben-Beiträgen im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum in Weiler. Seit 30 Jahren sind die Hoschtuber mittlerweile aktiv.

Jahrelang hatte Jakob Lang für eine Bahnverbindung von Weiler nach Röthenbach gekämpft. Allein er stieß auf taube Ohren. Also beschloss der Visionär, gemeinsam mit den Menschen aus Weiler das Projekt selbst in die Hand zu nehmen. Erfolgreich, wie sich am 22. Juli 1893 herausstellen sollte: An diesem Tag wurde die Bahnlinie von Weiler nach Röthenbach mit einem großen Fest eröffnet und eingeweiht. Weiler wurde dadurch mit dem Rest der Welt verbunden. Was aber gleichzeitig bedeutete: Am 21. Juli 1893 war die Zeit der Postkutsche vorbei, Postillon Johann Nick machte seine letzte Fahrt.

Der eine kommt, der andere geht - Geschichten wie diese, 1997 und 1998 von den Hoschtubern um Hanns Heim dokumentiert, zeigen den Wandel im Westallgäu. „Bevor Hanns Heim im Oktober 1993 die erste „offizielle“ Mundarthoschtube ins Leben rief, hatte sich bereits ein Kreis interessierter Personen zusammengefunden, die in Hoschtuben eine allgemeine Unterhaltung der Mundart pflegten. Nicht selten wurde da auch nebenzu gestrickt oder gehäkelt“, sagt Margit Kleber, seit Oktober 2018 Leiterin der Hoschtube im Museumsstüble Weiler. Sie berichtet, dass Hanns Heim den Teilnehmern den Vorschlag machte, bei solchen Treffen die Unterhaltung in Mundart mit Wissenswertem aus der Vergangenheit zu verknüpfen und jeweils über ein bestimmtes Thema – vorzugsweise Ortsgeschichtliches – zu sprechen. Der Vorschlag sei angenommen worden, im Oktober 1993 gab es die erste „offizielle“ Mundarthoschtube, bei der das Thema „Dialekt und Hoschtuben“ im Vordergrund stand.

Von da an folgten von Oktober bis April jeweils am zweiten Donnerstag eines Monats regelmäßige Hoschtuben. „Hanns Heim, der die Leitung übernommen hatte, trug in mühevollen Nachfragen und Recherchen, aber auch aus Erzählungen und Zeitungsartikeln viel Wissenswertes zusammen, brachte es in Berichten zu Papier und letztendlich in kurzen Vorträgen den Besucherinnen und Besuchern der Hoschtuben nahe“, berichtet Margit Kleber.

Die Aufsätze sind alles andere als staubtrocken. Vielmehr hält einer, der die Menschen in Weiler kennt, mit ihnen fühlt, deren Leben für die Nachwelt fest. So schreibt Hanns Heim beispielsweise in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997: „Leider nahm unser Herrgott die Mutter … infolge einer schweren Krankheit bereits 1943 zu sich.“ Hanns Heim litt auch mit den Eltern, die ihre Kinder verloren – die Kindersterblichkeit war früher sehr hoch.

Als Hanns Heim im Oktober 2009 nach mehr als 15 Jahren die Leitung der Mundarthoschtube an Hans Hölzler übertrug, hatte er knapp 80 Beiträge verfasst. Hanns Heim starb 2022. „Leider sind die einzelnen Quellen, aus denen er schöpfen konnte, um all das Wissenswerte aus der Vergangenheit schriftlich zu erfassen, nicht konkret benannt. Die Unterlagen tragen lediglich das Datum der Niederschrift und seinen Namen als Verfasser“, so Margit Kleber. Spätere Ergänzungen oder Korrekturen aufgrund veränderter Tatsachen seien aber in diesen Berichten ersichtlich.

Mit Hans Hölzer wurden auch Berichte aus dem Internet in die Hoschtuben aufgenommen. Er übergab im Rahmen einer Feier zum 25-jährigen Bestehen der Hoschtuben die Leitung an Margit Kleber. Ihr ist neben der schriftlichen Dokumentation historischer Ereignisse das Vortragen von Mundarttexten in Gedicht- und Prosaform ein Anliegen, „um gerade auch die alten, heute nicht oder kaum mehr gebräuchlichen Mundartwörter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen“ so Margit Kleber.

Nach einer Corona-Pause von März 2020 bis Oktober 2022 gibt es jetzt wieder in der Zeit von Oktober bis April Hoschtuben. Obwohl erst zwischen 1997 und 2023 verfasst, liest sich Manches schon heute wie Geschichte. Denn einige der Westallgäuer, über die geschrieben wurde, leben nicht mehr, auch manche Häuser sind mittlerweile abgebrochen. Trotzdem sind die Hoschtuben-Beiträge bleibende Dokumente, die beispielsweise Einblicke in bedeutende Westallgäuer Familien und Firmen gewähren.

Übrigens: In einer Hoschtube von 1999 heißt es, dass 1735 die ersten Kartoffeln ins Allgäu kamen. Zudem kann man die Geschichte vieler, teils nicht mehr existierender Gasthäuser in den Hoschtuben-Beiträgen nachlesen.

Auch die Geschichte von Hieronymus Fäßler ist in einem Hoschtuben-Beitrag dokumentiert. Er war einer der ganz Großen aus Weiler. Geboren am 2. Juni 1823 in Weiler, starb Hieronymus Fäßler am 7. Dezember 1903, nachdem er in den USA ein Millionenvermögen gemacht hatte. Zunächst verdingte er sich dort als Kesselflicker, dann als Schlosser. Seinen Durchbruch hatte er mit der Entwicklung einer Mähmaschine, die bald tausendfach verkauft wurde. Im Alter von 59 Jahren, heißt es im entsprechenden Hoschtuben-Beitrag, erhielt er den Auftrag, eine Untergrundbahn in New York zu planen. Nach der Besichtigung der U-Bahn in London kehrte Fäßler in die Vereinigten Staaten zurück und plante und projektierte dort das erste Teilstück der neuen Untergrundbahn. Seinen Ruhestand verbrachte er auf Schloss Maria Halden bei Goldach in der Schweiz. Begraben ist der Westallgäuer in seiner Heimat: auf dem Friedhof in Weiler. Seine Brüder wanderten ebenfalls in die USA aus, blieben allerdings auch dort.

Info: Von Nachlässen bis hin zu mehr als 5000 heimatkundlichen und geschichtlichen Büchern und Zeitschriften: Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler im Allgäu bewahrt Schätze der historischen und heimatkundlichen Forschung. Dazu gehören auch Kreis- und ortsgeschichtliche Sammlungen, Festschriften, Fotos, Ansichtskarten, historische und topografische Karten und Pläne, Zeitungsbände des Westallgäuers und Vorläufers ab 1854, Amts- und Regierungsblätter (ab 1803) sowie Gesetz- und Verordnungsblätter (ab 1818), Nachlässe verschiedener Heimatforscher und eine Kunstsicherungskartei mit fotografischen Bestandsaufnahmen und Beschreibung von Kircheninventaren.

Wer Interesse an Heimatgeschichte hat oder Möglichkeiten zum Recherchieren sucht, ist dort willkommen und kann per E-Mail (hdz@landkreis-lindau.de) einen Termin vereinbaren oder den neuen, kostenlosen Newsletter abonnieren. Damit informiert das Heimatkundliche Dokumentationszentrum künftig über Interessantes und Neuerwerbungen.