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04.12.2023

»Grabung in ein bis zwei Jahren«

Lindau (Bodensee) – Archäologische Forschungstaucher vom Verein Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie (BGfU) waren jetzt zum siebten Mal in Folge am Bodensee. Im Mittelpunkt steht derzeit die Erforschung der Hügel im Bodensee. Hildegard Nagler vom Heimatkundlichen Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau hat Projektleiter Professor Tobias Pflederer gefragt, was die Taucher bisher gemacht haben und wie es weitergeht.

Herr Professor Pflederer, Ihr Werkstattbericht in Lindau auf Einladung des Historischen Vereins und des Heimatkundlichen Dokumentationszentrums des Landkreises Lindau ist auf große Resonanz gestoßen. Hatten Sie damit gerechnet?

Über die große Zahl an Besucherinnen und Besuchern haben wir uns unheimlich gefreut. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir hatten bei ähnlichen Veranstaltungen in anderen Regionen schon deutlich weniger Resonanz. Besonders überrascht haben uns vor allem die anschließende Diskussion und die zahlreichen Fragen, die an uns gestellt wurden. Das zeigt wirklich, dass ein großes Interesse an unserer Arbeit besteht.

Was genau haben Sie bisher am Bodensee untersucht?

In den vergangenen Jahren waren es eigentlich drei große Befundgruppen und Funde, die wir vor dem bayerischen Bodenseeufer untersucht haben. Das waren zum einen der Einbaum und die Schädelkalotte, die in der Bucht von Wasserburg entdeckt wurden und beide in die späte Bronzezeit datieren (der Einbaum ins Jahr 1124 ± 10 v. Chr. und die Schädelkalotte in das 10./9. Jahrhundert v. Chr.). Im Umfeld dieser beiden Befunde haben wir taucharchäologisch im Anschluss an mögliche dazugehörige Seeuferrandsiedlungen gesucht. In den vergangenen zwei bis drei Jahren kamen dann die spannenden steinernen Unterwasserhügel dazu, die wahrscheinlich in die ausgehende Jungsteinzeit, in das sog. „Endneolithikum“ datieren.

Nach Absprache mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalschutz waren Sie und Ihre Kollegen zum siebten Mal in Folge für taucharchäologische Forschungsarbeiten am Bodensee. Was stand jetzt auf Ihrem Programm?

In diesem Jahr haben wir zwei weitere Unterwasserhügel vor dem Ortsteil Reutenen untersucht. Die beiden sind die insgesamt größten unter den ca. 25 Exemplaren vor dem  bayerischen Bodenseeufer.

Was wissen Sie mittlerweile über die Hügel im Bodensee?

Wir wissen durch unsere Untersuchungen, dass die Hügel vor dem bayerischen Bodenseeufer menschengemacht sind. Offensichtlich haben die Erbauer der Hügel ganz bewusst gewisse Steingrößen am damaligen Ufer ausgewählt und für die Konstruktion verwendet. Die „bayerischen Exemplare“ sind den schweizerischen am Ufer gegenüber außerdem ziemlich ähnlich. Sie befinden sich in einer ähnlichen Distanz zum heutigen Ufer, in einer ähnlichen Wassertiefe und auch auf einer ähnlichen Höhenlinie. Einen der „bayerischen Hügel“ – den Hügel 24 vor Bad Schachen – konnten wir durch eine dünne Holzschicht zudem datieren – grob in die Zeit 3500 bis 3200 v. Chr., also in die ausgehende Jungsteinzeit. Dieses Alter deckt sich somit grob mit den Schweizer Exemplaren, die in das 37. bis 34. Jahrhundert v. Chr. datiert wurden.

Gehen Sie davon aus, dass noch weitere Hügel entdeckt werden?

Die detaillierten Scandaten des Seenforschungsinstituts Langenargen dürften die meisten Unterwasserhügel vor dem bayerischen Ufer entdeckt haben. Kleinere, flachere Hügel, die nicht mehr gut aus dem Sediment „herausschauen“, können den Scans aber entgangen sein. Der Hügel 1 vor Wasserburg war zum Beispiel nicht auf den Scandaten abgebildet. Er wurde erst durch eine Tauchprospektion unter Wasser entdeckt. Daher ist es durchaus vorstellbar, dass noch weitere Hügel unter dem Sediment „schlummern“.

Zu welchem Zweck könnten die Hügel im Bodensee errichtet worden sein?

Das ist leider nach wie vor sehr spekulativ. Und wir haben bislang keine stichhaltigen Beweise für eine spezifische Funktion der Hügel – vor allem aufgrund der Fund- und Befundarmut auf den Steinschüttungen. Künstliche Inseln für kleine Siedlungen oder Abwurfplätze von Ballaststeinen für Schiffe dürften ausscheiden. Denkbar wären noch Plätze im Rahmen von Bestattungsritualen. Durchaus vorstellbar ist aber auch eine Funktion beim Fischfang. Künstliche Steinhügel wurden bis in die heutige Zeit in einigen Seen des Alpenvorlandes aufgeschüttet, um als Laichplätze für zum Beispiel für Weißfische zu dienen. Die Jungfische lockten dann größere Raubfische, wie den Wels oder Hechte an, die dann an diesen künstlichen Stellen leichter gejagt und abgefischt werden konnten. Die ausgehende Jungsteinzeit ist durch viele technische Innovationen geprägt. Vielleicht erschloss man sich mit den zahlreichen künstlichen Unterwasserinseln auch eine bessere Versorgungsquelle in der Ernährung.

Mehr als 200 solcher Hügel wurden 2015 vom Institut für Seenforschung dokumentiert. Mehr als 180 davon befinden sich am Schweizer Ufer. Dort sind sie wie auf einer Perlenschnur aufgereiht. Die am bayerischen Ufer des Bodensees orientieren sich an der Uferlinie. Ist es möglich, dass es irgendeine Form der Kommunikation gab?

Wenn die Steinhügel wirklich alle zeitgleich entstanden sind – und das wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht – dann muss natürlich davon ausgegangen werden, dass die Hügelphänomene am schweizerischen und bayerischen Bodenseeufer nicht isoliert waren, sondern ein zusammenhängendes Phänomen darstellen. Die „Perlenschnur“ der schweizerischen Hügel orientiert sich im Übrigen ebenfalls (vorwiegend) an einer geraden Uferlinie.

Wie lange werden Sie die Hügel noch beschäftigen? Wie geht es weiter?

Die unterwasserarchäologischen Untersuchungen in der Aufsicht der Hügel und ergänzt durch Sedimentbohrungen haben wir in diesem Jahr abgeschlossen. Wir warten jetzt noch eine Datierung eines kleinen Holzrestes ab, der unter der Steinkuppe von Hügel 05 in diesem Jahr dokumentiert werden konnte. Er gibt uns eventuell Hinweise darauf, ob die Hügel wirklich alle zeitgleich entstanden sind. In ein bis zwei Jahren müssen wir zusammen mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege eine kleine Grabung an einem der Hügel planen, um noch detailliertere Informationen zur Entstehung der Hügel und deren Funktion zu bekommen. Ganz entschlüsseln werden wir das Geheimnis aber wohl nicht.

Was hat Sie bisher am meisten überrascht?

Was die Hügel betrifft: Die endneolithische Datierung, die die bayerischen Exemplare in dieselbe Zeit wie die Hügel vor dem Schweizer Ufer setzt. Und dann natürlich der immense Aufwand, der von den Seebewohnern dieser Zeit betrieben wurde, um die Hügel mit zigtausenden von Steinen zu errichten.

Sie sind Professor für Kardiologie und tauchen wie Ihre Kollegen vom Verein BGfU in Ihrer Freizeit. Was fasziniert sie an der Archäologie?

Am meisten fasziniert es mich, kleine Puzzlestückchen vergangener Ereignisse und Kulturen zu identifizieren und aneinanderzustückeln. Es ist meistens nicht so sehr der einzelne archäologische Fund, sondern vielmehr die Geschichte dahinter - das Leben und die Welt der Menschen, die zu uns über die Relikte und Hinterlassenschaften reden.

Info: Von Nachlässen bis hin zu mehr als 5000 heimatkundlichen und geschichtlichen Büchern und Zeitschriften: Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler im Allgäu bewahrt Schätze der historischen und heimatkundlichen Forschung. Dazu gehören auch Kreis- und ortsgeschichtliche Sammlungen, Festschriften, Fotos, Ansichtskarten, historische und topografische Karten und Pläne, Zeitungsbände des Westallgäuers und Vorläufers ab 1854, Amts- und Regierungsblätter (ab 1803) sowie Gesetz- und Verordnungsblätter (ab 1818), Nachlässe verschiedener Heimatforscher und eine Kunstsicherungskartei mit fotografischen Bestandsaufnahmen und Beschreibung von Kircheninventaren.

Wer Interesse an Heimatgeschichte hat oder Möglichkeiten zum Recherchieren sucht, ist dort willkommen und kann per E-Mail (hdz@landkreis-lindau.de) einen Termin vereinbaren oder den neuen, kostenlosen Newsletter abonnieren. Damit informiert das Heimatkundliche Dokumentationszentrum künftig über Interessantes und Neuerwerbungen.