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20.10.2023

Von Engeln bis zu Wirtshaus-Auslegern

Lindau (Bodensee) – Vom Engel, der sich an einer Wolke festhält bis hin zum Beichtstuhl, von kunstvoll geschmiedeten Auslegern von Wirtshäusern und Türgittern, von Heiligenfiguren bis zur kolorierten Zeichnung von Lindenberg und Bildern ganzer Kirchen und Kapellen – die Kunstsicherungskartei im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler bietet mit ihren Fotos eine Reise zu den kulturellen Schätzen der Region. Und die sind wirklich außergewöhnlich. „Ich bin beeindruckt, wie viele Informationen in der Kunstsicherungskartei zusammengetragen wurden“, sagt Thomas Hüttinger, Leiter der Polizeiinspektion Lindenberg.

Fein säuberlich sind sie auf hellblauen Karteikarten im Format Din A5 mitsamt Fotos festgehalten, die Schätze der Region. Für Maria Thann beispielsweise gibt es stapelweise Karten, ebenso für Lindau und viele andere Gemeinden. Auf einer ist das Totenschild des Hans Ulrich Syrgenstein in der katholischen Pfarrkirche Maria Thann zu sehen. Er wurde 1511 geboren, baute in seinen 40 Lebensjahren seinerzeit Schloss Syrgenstein weiter aus, unter anderem die Obergeschosse mit Bibliothekszimmer. Für Niederstaufen ist im Pfarrhof eine eindrucksvolle Ortsansicht aus dem 17. Jahrhundert mit den abgegangenen Burgen dokumentiert. „Anno 1576 den 16. Marti starb der ehrsam und wise Jacob Vorster zu Wasserburg, dem Gott gnedig sei. Anno 1577, den 13. Dezember, starb die Dugaitsaim Frow Anna Wechingerin. Ist Jacob Vorster eheliche Frow gewesen. Der Gott gnedig sei“, steht wiederum auf einem Grabstein auf dem Wasserburger Friedhof.

Die Anfänge der Kunstsicherungskartei reichen Jahrzehnte zurück. „Ich habe gesehen, dass das andere hatten. Also habe ich beschlossen: So etwas mache ich auch, weil es einfach wichtig ist.“ – Mit diesen Worten begründet Werner Dobras, von 1968 bis 1998 Kreisheimatpfleger, die Kunstsicherungskartei. Haben er und seine Unterstützer dabei nach einer selbst erstellten Liste gearbeitet? „Ich habe Kunstdenkmal-Bände durchgeschaut“, berichtet der seit 23 Jahren pensionierte frühere Leiter des Stadtarchivs Lindau, „und mich dann an die Dokumentation gemacht.“

„Meist in der Freizeit, und immer, wenn es meine Zeit zugelassen hat“, sagt Werner Dobras, sei er zwischen 1970 und 1998 mit seiner Leica, später auch mit Digitalkameras, losgezogen, habe sakrale, aber auch andere Kunstdenkmäler fotografiert. Und dabei auch kleinere Schätze entdeckt, die er bisher so nicht gekannt habe. „Das hat mich besonders gefreut.“ Manche hätten ihn als „Spinner“ abgetan, andere hätten nicht gewollt, dass er die Schätze fotografiert, weil sie Angst hatten, dass die Dokumentation für sie negative Folgen haben könnte: „Dass zum Beispiel irgendwo gegraben, nachgeforscht wird.“ Diese Ängste seien aber unberechtigt gewesen. Werner Dobras, der bis 2011 Heimatpfleger war und jetzt 88 Jahre alt ist, betont: „Es gab auch Leute, die haben mich in dieser Tätigkeit bestärkt, weil man Kunstdenkmäler dokumentieren und erhalten muss.“

So kommt es, dass die zur Kunstsicherungskartei gehörenden dicken Ordner mit den Negativen der Fotos, die teils von Arbeitsbeschaffungsmaßnahme-Kräften registriert wurden, auch Kirchenführer mit der Entstehungsgeschichte der Gotteshäuser enthalten. Von der Kirche in Unterreitnau beispielsweise sind an Holzfiguren eine Muttergottes (Tonplastik, gotisch um 1420), acht hölzerne Engel, mehrere Heiligenfiguren, ein Kruzifix und ein Relief dokumentiert. Zudem werden aufgeführt: 23 Gemälde, Metallarbeiten und sonstige Kunstgegenstände wie ein Taufstein von 1690, eine Orgelfassade mit Akanthusdekor, eine eisenbeschlagene Sakristeitüre um 1700 mit altem Schloss sowie ein Sakristeischrank aus derselben Zeit mit erhabenen Türfüllungen, gemalten Intarsien und gedrehten Säulen.

Die Kunstsicherungskartei habe „der Polizei schon bei manchen Kunstdiebstählen wertvolle Hilfe geleistet“, lobt Wolfgang Pledl in einem Beitrag in der Publikation „Schönere Heimat“ des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Das freut nicht nur Werner Dobras und die Leute, die an der Kunstsicherungskartei mitgearbeitet haben.       

Info: Von Nachlässen bis hin zu mehr als 5000 heimatkundlichen und geschichtlichen Büchern und Zeitschriften: Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler im Allgäu bewahrt Schätze der historischen und heimatkundlichen Forschung. Dazu gehören auch Kreis- und ortsgeschichtliche Sammlungen, Festschriften, Fotos, Ansichtskarten, historische und topografische Karten und Pläne, Zeitungsbände des Westallgäuers und Vorläufers ab 1854, Amts- und Regierungsblätter (ab 1803) sowie Gesetz- und Verordnungsblätter (ab 1818), Nachlässe verschiedener Heimatforscher und eine Kunstsicherungskartei mit fotografischen Bestandsaufnahmen und Beschreibung von Kircheninventaren.

Wer Interesse an Heimatgeschichte hat oder Möglichkeiten zum Recherchieren sucht, ist dort willkommen und kann per E-Mail (hdz@landkreis-lindau.de) einen Termin vereinbaren oder den neuen, kostenlosen Newsletter abonnieren. Damit informiert das Heimatkundliche Dokumentationszentrum künftig über Interessantes und Neuerwerbungen.