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31.07.2023

Ab in die Tiefen des Bodensees

Lindau (Bodensee) – Der Bodensee hat die Menschen schon immer angezogen. Im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler gibt es Unterlagen über die Bodensee-Vermessung von 1889. Dafür wurde ein speziell ausgestattetes und darüber hinaus ausgeflaggtes Schiff eingesetzt. Thomas Freitag von der Wasserwacht Lindau ist von den alten Unterlagen beeindruckt. „Sie zeigen den Bodensee von einer ganz besonderen Seite.“

Es muss ein gewaltiger Aufwand gewesen sein. Eberhard Graf Zeppelin, Kammerherr Seiner Majestät des Königs von Württemberg und Bruder des legendären Luftschiffbauers Ferdinand Graf Zeppelin, hatte sich als Vertreter des Großherzogtums Baden im Vorstand des Vereins für Geschichte und seiner Umgebung 1886 für die exakte Kartierung und naturwissenschaftliche Erforschung des Bodensees stark gemacht. Er sollte das von den Regierungen der fünf Seeanrainerstaaten gemeinsam getragene Projekt koordinieren. In einer ersten Zusammenkunft von Abgeordneten am 30. September 1886 in Friedrichshafen wurde über das große Vorhaben gesprochen. Ziel sollte eine Original-Seekarte im Maßstab 1:25000 sein. „Mittlerweile hatte sich das Bedürfnis einer guten Seekarte aber auch für die Bodensee-Schiffahrt als ein immer dringlicheres erwiesen. Nur weil es an seiner solchen beziehungsweise an einer genauen Kenntnis der Seetiefen-Verhältnisse gebrach, waren kurz nacheinander mehrere Dampfschiffe auf den Grund geraten, und man konnte noch von Glück sagen, dass dabei nur sachlicher Schaden entstanden und nicht auch der Verlust von Menschenleben zu beklagen war“, heißt es in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung von 1893.

Beauftragt mit den Messungen wurde Ingenieur Jakob Hörnlimann aus Bern, im Überlinger See übernahm diese Aufgabe ein badischer Ingenieur. „Auf einem etwa 10 m langen Ruderschiff, das durch 3-4 Mann bedient wird, hat Herr Hörnlimann den Apparat aufgestellt, der ebenso einfach als sinnreich konstruiert ist“, heißt es in einem Zeitungsbeitrag vom 5. November 1889. Die auf einer Rolle aufgewundene Lotleine wurde über ein genau ein Meter im Umfang messendes Rad und dann über eine am Schiffsbord angebrachte Rolle in die Tiefe geleitet. „Mit dem erstgenannten Rad steht ein Zählapparat in Verbindung, welcher die Länge der über das Rad gegangene Leine ganz genau registriert“, heißt es in dem Beitrag. Dadurch könne die Tiefe der betreffenden Stelle einfach abgelesen werden. Die Leine selbst bestand aus einem Stahldraht, der auf 100 Kilogramm Zugfestigkeit geprüft worden war. Als Lotgewicht dienten drei 2, 4 und 6 Kilogramm schwere durchbohrte eiserne Kugeln, durch die ein Eisenstab gesteckt war. Zuvor waren Hanfleinen und dann Seidenschnüre an den Lotungen befestigt worden. Bei Tiefen von 200 Metern und mehr habe dies allerdings zu Messungenauigkeiten von bis zu 24 Metern geführt.

„Damit diese Zeichengebung nicht missverständlich als Nothsignal aufgefasst wird, ersuchen wir den Gr. Dampfschifffahrtsinspekteur zur weiteren Verständigung der Schiffskapitäne hiervon in Kenntnis zu setzen, sowie auch geneigtest Anordnung zu treffen, dass die Dampfschiffe dem Lothschiff entweder so weit ausweichen, oder im Vorbeifahren die Kraft so viel mässigen, dass starke Schwankungen des letzteren während des Lothens, bei dem ein sehr feiner Draht verwendet wird, vermieden werden“, heißt es in einem Brief der Organisatoren.

252 Meter – das war die tiefste Stelle im Obersee, die nach den rund fünfwöchigen Messungen zwischen Uttwil und Friedrichshafen gefunden worden war; im Überlinger See waren es 147 Meter und im Untersee 46,6 Meter. „Sehr interessant ist durch die Hörnlimann’schen Aufnahmen festgestellte Thatsache, daß das Rheinbett sich unter Wasser noch auf einer Strecke von 10 km fortsezt; würde man den See auspumpen, so würde sich also von der Rheinmündung an ein 10 km langes Rinnsal zeigen, zu dessen beiden Seiten der vom Wasser mitgeführte feine Schlamm sich in Form von Dämmen angesammelt hat, während das schwere Geschiebe sich unmittelbar beim Einfluß des Rheins in den See ablagert“, heißt es weiter in dem Artikel.

Zu den bekanntesten kartografischen Darstellungen des Bodensees und seiner Umgebung zählten zuvor die Karten von Sebastian Münster (um 1540), Leonhard Straub (1579) Christoph Hurter (1649) und Matthias Seutter (um 1740). „Die ältesten sicheren Nachrichten, welche wir vom Bodensee besitzen, finden sich bei Strabo (50 v. Chr. bis 30 n. Chr.)“, schreibt Zeppelin in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung von 1893. „Dieser berichtet zuerst im IV. Buch cap. 3 seiner Geographie, der am Berg Adula entspringende Rhein ergiesse sich in grosse Sümpfe und einen grösseren See, und im VII. Buch cap. 1, dass zwischen den Quellen des Rheins und der Donau der See und die Sümpfe sich befinden, durch welche der Rhein ströme“, führt er aus.

Bei der von Zeppelin vorangetriebenen Messung gab es 80 Messwerte pro Tag, insgesamt wurden 11147 Messungen verzeichnet. Dieser Untersuchung folgten weitere. Heutzutage braucht man für dieselbe Anzahl eine Millisekunde – die Vermessungstechnik hat sich rasant verbessert. An der jüngsten Vermessung, dem Projekt „Tiefenschärfe“, arbeiteten von 2013 bis 2015 bis zu 20 Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das 75 Tonnen schwere Forschungsschiff „Kormoran“ legte dabei 5500 Kilometer kreuz und quer über den See zurück, tastete unter anderem mit Hilfe eines hochmodernen Fächerecholots den Seeboden ab einer Tiefe von fünf Metern ab. Aus diesen Daten entstand mit Hilfe von Computerprogrammen ein dreidimensionales Bild der Unterwasserwelt. Gewonnen wurden 7,2 Milliarden Tiefeninformationsdaten. Weitere Daten wurden im Projekt „Tiefenschärfe“ durch die lasergestützte Vermessung der Flachwasserzone vom Flugzeug aus gewonnen: Sie ergab mehr als 15 Milliarden Datenpunkte.

612 000 Euro kostete das Projekt „Tiefenschärfe“. Für das Projekt unter Zeppelin werden in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung von 1893 keine Angaben gemacht.

Thomas Freitag von der Wasserwacht Lindau freut sich über die historischen Unterlagen zum Bodensee im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau.  (Heimatkundliches Dokumentationszentrum / Hildegard Nagler).

Auch in den historischen Unterlagen zum Bodensee im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau enthalten: ein Plan der Ballonhalle des „Herrn Grafen von Zeppelin“ mit Bootshaus und Boje.  (Heimatkundliches Dokumentationszentrum / Hildegard Nagler).

Info: Von Nachlässen bis hin zu mehr als 5000 heimatkundlichen und geschichtlichen Büchern und Zeitschriften: Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler im Allgäu bewahrt Schätze der historischen und heimatkundlichen Forschung. Dazu gehören auch Kreis- und ortsgeschichtliche Sammlungen, Festschriften, Fotos, Ansichtskarten, historische und topografische Karten und Pläne, Zeitungsbände des Westallgäuers und Vorläufers ab 1854, Amts- und Regierungsblätter (ab 1803) sowie Gesetz- und Verordnungsblätter (ab 1818), Nachlässe verschiedener Heimatforscher und eine Kunstsicherungskartei mit fotografischen Bestandsaufnahmen und Beschreibung von Kircheninventaren.

Wer Interesse an Heimatgeschichte zum Anfassen hat oder Möglichkeiten zum Recherchieren sucht, ist dort willkommen und kann per E-Mail (hdz@landkreis-lindau.de) einen Termin vereinbaren oder den neuen, kostenlosen Newsletter abonnieren. Damit informiert das Heimatkundliche Dokumentationszentrum künftig über Interessantes und Neuerwerbungen.