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20.06.2023

»Eine wahre Schatztruhe«

Lindau (Bodensee) – In der Serie „Schätze des Heimatkundlichen Dokumentationszentrums“ geht es heute um die große Sammlung von Zeitungsbänden. Festlesen kann man sich darin leicht, bieten sie doch spannenden Lesestoff aus der ganzen Welt. Auch der Lindauer Historiker Karl Schweizer sagt: „Die im Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau aufbewahrten Bestände an Zeitungen seit den 1870er-Jahren sind für interessierte Menschen eine wahre Schatztruhe.“

94 Zeitungsbände des Amts-Blatts als Wochenblatt für den Amtsbezirk und dessen Umgebung von 1875 bis 1944 füllen den Hauptteil der Wandregale in einem großen Raum im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum. Sie enthalten auch vier Bände des Südkurier als Tagblatt für den Bodensee, Schwarzwald und das obere Donaugebiet von 1946 bis 1948. Zehn Bände der Schwäbischen Zeitung mit Lindauer Anzeiger von Juli 1946 bis Juli 1947 sowie von 1948 bis Juni 1950 befinden sich ebenfalls im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum, wie auch 218 Bände des Westallgäuers, der Heimatzeitung des Westallgäus, vormals „Anzeigenblatt für das westliche Allgäu“ von Juli 1950 bis August 1994.

„Großer Frost. In Rußland herrscht eine ungeheure Kälte. Ein Dampfer mit 1400 Rekruten an Bord ist im Schwarzen Meer eingefroren. Alle Versuche, an denselben zu gelangen, waren bisher vergeblich. Wenn der Frost nicht bald nachläßt, wird eine Katastrophe für den Dampfer befürchtet“, meldet das Anzeige-Blatt für das westliche Allgäu am Freitag, 2. Januar 1891. In der folgenden Montagsausgabe des Anzeige-Blatts wird der Aberglaube einer französischen Familie, bestehend aus Mutter, Vater und Tochter thematisiert. Kein einziges Wort sprächen die Drei miteinander, weil ihnen der Dorfgaukler einen großen Schatz verhießen habe, so sie sich stumm hielten, steht dort geschrieben.

Die Palette aus Neuem und Wichtigem aus aller Welt ist breit: Es geht um Politik, Wirtschaft und um Katastrophen, den Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. am 27. Januar, es geht um Humoristisches, den Fortsetzungsroman „Nicht der Richtige“, den Bericht von Erfindungen wie Schwimmhandschuhen, um Tipps für die Vogelfütterung im Winter und beispielsweise die ausführliche Schilderung einer türkischen Hochzeit. All dies bietet das Anzeige-Blatt montags, mittwochs und freitags in gedruckter Form zum vierteljährlichen Preis von 95 Pfennig inklusive Postzustellgebühr, bei Selbstabholung werden 85 Pfennig berechnet.

Wer einen der Bände aufschlägt, liest sich schnell darin fest. Denn nicht nur im redaktionellen Teil gibt es Interessantes – auch der Anzeigenteil verrät Wissenswertes über das alltägliche Leben vor vielen Jahren. „Prima Nierenkochfett en gros und detail“ wird 1894 angeboten wie auch ein zugelaufener „rotbrauner Hühnerhund mit weißer Brust“, der von „Unterfertigtem“ gegen „Entschädigung der Inserationsgebühr und des Futtergeldes“ in Empfang genommen werden kann. Zudem gibt es „Lilienmilchseife“, Feigenkaffee, „verdauungsfördernden und magenstärkenden Paprika-Liqueur“ und „Erdölmessapparate“ zu kaufen. Die Augsburger „Fäcalextrakt-Fabriken“ machen Werbung für ihren „Fäcaldünger“, eine Firma aus Oberstdorf für Kindermehl, „unter Verwendung der weltberühmten Alpenkuhmilch hergestellt“, und ein Fotograf für sein Fotostudio – er betont, dass Aufnahmen bei jedem Wetter gemacht werden. Im Theater in Simmerberg wiederum ist „Der Bauer als Millionär“ oder „Das Mädchen aus der Feenwelt“ zu sehen. Übrigens: Recycling wurde auch damals großgeschrieben. „Für sparsame Hausfrauen!“ war die folgende Anzeige gedacht: „Aus Lumpen jeder Art und Wolle werden moderne, äußerst haltbare Kleiderstoffe, (…) Läufer, Teppiche, Komoden, Reise-, Schlaf- & Pferdedecken umgearbeitet.“ Betont wird, dass „jede Art Lumpen, wie es in jedem Hause gibt, nur in reinlichem Zustande“ angenommen wird.

 „Die Fülle der in den Zeitungsbänden enthaltenen Informationen zu eineinhalb Jahrhunderten bis hin zur Gegenwart ermöglichen es unter anderem, heute verbreitete Aussagen zu früheren Ereignissen, Personen, Firmen und Organisationen nicht nur zu bestätigen und zu ergänzen, sondern diese auch, wo nötig, sachlich zu korrigieren“, weiß der Lindauer Historiker Karl Schweizer aus Erfahrung. „Andererseits lassen Leerstellen und Kommentare in der jeweiligen Berichterstattung auch Rückschlüsse darauf zu, was der jeweiligen Redaktion und Herausgeberschaft nicht wichtig oder gar bekämpfenswert erschien. Die Menschen im Landkreis Lindau und darüber hinaus verfügen durch diese historischen Zeitungsbände über einen unersetzbaren Schatz an Zeitzeugendokumenten und Berichten.“

Bild: Über die Zeitungsbände im Heimatkundlichen Dokumentationszentrum sagt der Lindauer Historiker Karl Schweizer: „Für interessierte Menschen sind sie eine wahre Schatztruhe.“ (Heimatkundliches Dokumentationszentrum / Hildegard Nagler)

Info: Von Nachlässen bis hin zu mehr als 5000 heimatkundlichen und geschichtlichen Büchern und Zeitschriften: Das Heimatkundliche Dokumentationszentrum des Landkreises Lindau in Weiler im Allgäu bewahrt Schätze der historischen und heimatkundlichen Forschung. Dazu gehören auch Kreis- und ortsgeschichtliche Sammlungen, Festschriften, Fotos, Ansichtskarten, historische und topografische Karten und Pläne, Zeitungsbände des Westallgäuers und Vorläufers ab 1854, Amts- und Regierungsblätter (ab 1803) sowie Gesetz- und Verordnungsblätter (ab 1818), Nachlässe verschiedener Heimatforscher und eine Kunstsicherungskartei mit fotografischen Bestandsaufnahmen und Beschreibung von Kircheninventaren.

Wer Interesse an Heimatgeschichte hat oder Möglichkeiten zum Recherchieren sucht, ist dort willkommen und kann per E-Mail (hdz@landkreis-lindau.de) einen Termin vereinbaren oder den neuen, kostenlosen Newsletter abonnieren. Damit informiert das Heimatkundliche Dokumentationszentrum künftig über Interessantes und Neuerwerbungen.